In unserer Mitte – von medialen und menschlichen Bedingungen der Angst

In Halle ist Mitte Februar eine junge Frau beim Joggen überfallen, vergewaltigt und erwürgt worden. Ihre Leiche wurde am darauffolgenden Tag in der Saale gefunden, vom Täter gibt es bis heute keine Spur. Ich selbst war eine Weile nicht in Halle als ich von der Tat erfuhr. Die Nachricht traf mich dennoch eiskalt in Form eines Fotos der Leiche, das im Auftrag der Kriminalpolizei über Facebook geteilt wurde, um die Tote zu identifizieren. Das Grauen dieser Tat beschäftigt mich nach fast zwei Monaten immer noch. Dabei ist mir wohl bewusst, was hier psychologisch passiert: Ich weiß, dass es statistisch gesehen sehr viel wahrscheinlicher ist, dass ich mich im Haushalt tödlich verletze, an Krebs sterbe oder in einem Verkehrsunfall. Was ist es also, das mich im Zusammenhang mit diesem Verbrechen nicht mehr loslässt?

Eine Ursache für die Vehemenz mit der sich dieser Mord in meiner Wahrnehmung verankert hat ist meines Erachtens eine technische. – Fangen wir mit dem leichter Zugänglichen an. Das Internet, in diesem Fall Facebook, informiert nicht nur zeitlich unmittelbar, sondern inzwischen technisch bedingt auch körpernah. Ich habe das Foto der Toten auf meinem Smartphone gesehen, das ich in meiner Jackentasche mit mir herumtrage und jederzeit überall herausholen kann. Auf demselben Gerät habe ich einige Tage später das Foto der neugeborenen Tochter einer guten Freundin erhalten. Natürlich entscheide ich selbst wo und zu welcher Zeit ich meine Nachrichten abrufe, aber die Voraussetzung, dies immer und überall zu tun sind offensichtlich gegeben, was bewirkt, dass die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem weiter verschwimmen. Nachrichten über Gewaltverbrechen und Kriege erreichen mich über dasselbe Medium wie Liebesbekundungen und Babyfotos.

Wie bereits erwähnt war ich nicht in Halle als der Mord passierte. Der Tatort ist jedoch ungefähr zehn Gehminuten von meiner Wohnung entfernt und liegt an einem Weg, der an der Saale entlang führt. Ich weiß nicht wie oft ich diesen Weg schon selbst gegangen bin, wie oft Freundinnen, auch abends, hier joggen waren. Der Tatort ist Teil meines Alltages wie auch die ermordete Frau in gewisser Weise Teil meines Umfeldes war. Eine Studentin. Eine Freundin kannte sie vom Sehen auf Partys. Allein die Ähnlichkeit ihrer sozialen Situation mit meiner eigenen reicht schon aus, um mein Unbehagen weiter zu steigern.

Zurück zu den Medien. Dieser Fall war ein gefundenes Fressen für die Medien. Taten wie diese bergen ein riesiges Angstpotential und lassen sich damit entsprechend gut beim Publikum verkaufen. Wer über solch ein Verbrechen berichtet, kann sich aus einem äußerst dichten Diskurs bedienen. In wie vielen Krimis wurden Täter wie dieser als unscheinbarer Psychopath, unkontrollierbares Tier oder auch teilweise selbst als Opfer von Gewalt nachgezeichnet?! Die JournalistIn muss nur bestimmte Stichwörter nennen und ganze Filme laufen in der Vorstellung der Leserschaft ab. Taten wie diese verbreiten Schrecken und fesseln dabei unsere Aufmerksamkeit. Diese wird durch die zahlreichen medialen Reproduktionen der Tat potenziert. Unsere Medienerfahrungen bieten ein breites Spektrum an angstbesetzten Bildern und unsere verdrängte Angst kann daraus aus dem Vollen schöpfen.

Auch der nächste Punkt liegt noch auf der gesellschaftlichen Ebene. Es handelt sich um den Umgang mit Frauen in unserer Gesellschaft. Angefangen bei immer noch ungleicher Machtverteilung in Wirtschaft und Politik, über Alltagssexismus auf der Straße, bei der Arbeit bis hin zu sexistischer Werbung und tatsächlichen verbalen oder körperlichen Übergriffen: Frauen werden in unserer Gesellschaft nach all den Jahrzehnten Feminismus in den (Mainstream-) Medien, teilweise immer noch selbstverständlich, als sexualisiertes Produkt dargestellt. Es ist erschreckend wie wenig Bewusstsein für dieses Thema herrscht, teilweise bei den Frauen selbst. Die Folgen für unser Zusammenleben sind unmittelbar spürbar. Ich soll mich darüber freuen, wenn ich ein Kompliment über mein Aussehen von meinem Vorgesetzten bekomme? Ich freue mich darüber genauso wenig wie wenn mir jemand auf der Straße hinterher pfeift. Ich weiß, diese Erkenntnis ist immer wieder überraschend bis bahnbrechend, aber ich freue mich ganz schlicht darüber, wenn mir ein Mensch mit Respekt und ohne Machtgehabe begegnet.

Übergriffige Männer suchen sich häufig junge und unsichere Frauen aus. Wer innerlich noch in der Entwicklung steckt und wankt ist zusätzlich besonders anfällig für die allgegenwärtigen Medienbilder. Gerade bei Mädchen und jungen Frauen sind die eigenen Grenzen noch instabil und sexualisierte passive Frauenbilder fließen stetig in ihr Unterbewusstsein ein. Übergriffige Männer, die ihre eigene Angst gewaltsam kompensieren, erkennen diese Verunsicherung instinktiv. Grenzverletzungen werden weitergeführt und verstärkt, wenn sie vom Umfeld geduldet oder sogar positiv aufgenommen werden. Und das werden sie. Teilweise wird geschwiegen, teilweise wird der Übergriff gut geheißen oder belächelt. Was ich hier beschreibe ist mit Sicherheit nicht direkte Ursache, aber definitiv ein wichtiger Faktor des Nährbodens für Vergewaltigungen und Morde wie hier in Halle. Sexismus, Rassismus und alle anderen auf Gewalt beruhenden Strategien, um Macht über andere und dadurch vor allem über das eigene Selbstgefühl zu erlangen, sind Symptome einer Gesellschaft in der Macht, Markt und Erfolg vor Gemeinschaft und Liebe stehen.

Hiermit wären wir auf der existentiellen persönlichen Ebene angekommen, wo das Zentrum meiner Angst angesiedelt ist. An dieser Stelle kann ich nicht mehr analysieren wie ich es bisher in meinem Text getan habe, hier stehe ich mit weit aufgerissenen Augen und wehem Herzen und stelle Fragen ohne Antworten zu bekommen.

Der Ausgang aus meiner Angst war trotz offener Fragen für mich der Prozess in dem dieser Text entstanden ist zusammen mit dem Austausch mit FreundInnen sowie einer konkreten Handlung im Hier und Jetzt. Gemeinsam mit einer Freundin habe ich eine kleine Blume am Tatort eingepflanzt. Ich möchte an die Frau erinnern, die hier ermordet wurde und bewusst machen, was mitten unter uns in unserer Gesellschaft passiert.  Jede Einzelne hat es für sich in der Hand, Wunden zu betrachten und heilen zu lassen, als Gesellschaft liegt es in unserer aller Hände. Wenn wir weiter unsere Verletzungen ignorieren und uns gegenseitig vorspielen, dass wir unantastbar sind, kann nichts heilen und wir werden immer wieder mit schreckgeweiteten Augen vor Verbrechen wie diesen stehen und uns fragen wie so etwas passieren kann. Wenn wir dagegen unsere Angst teilen, gemeinsam hinschauen, trauern und uns endlich daran machen, eine menschliche gerechte Gesellschaft zu gestalten, kann etwas Neues entstehen, das eines Tages vielleicht sogar Wurzeln schlagen und erblühen wird.

Christrose_Friedwald

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